Eric-Emmanuel Schmitt
Monsieur Ibrahim und die Blumen des Koran

Es ist eine Erzählung, die an der Oberfläche davon handelt, wie ein von seinen Erzeugern vernachlässigter Junge sich mit einem Lebensmittelhändler aus seinem Viertel befreundet, und der ihm im Lauf der Zeit immer mehr zum Ersatzvater wird. Der Junge ist ein aschkenasischer Jude, der Händler ein Araber aus Syrien.

Es ist ein Aufeindertreffen der aschkenasischen (westlichen) Kultur mit der arabisch-moslemischen (orientalischen) Kultur. In der Erzählung streift der Junge seine westliche Identität ab und nimmt seine orientalische Identität an. Wir sehen im Detail die Unterschiede dieser Kulturen.

Einer der Unterschiede ist der Wert der Ehrlichkeit. In der westlichen, bürgerlichen Welt ist sie die Voraussetzung für Vertrauen. In der orientalischen Welt - so die Erzählung - ist sie nicht wichtig; die menschliche Gemeinschaft als solche ist stärker, und wenn zwei sich mögen, verzeihen sie sich auch Unehrlichkeit.

Ein anderer Unterschied sind die Wege zum Glück, die der orientalische Händler vorlebt:

Es ist vielleicht kein Zufall, dass die Erzählung in Paris spielt. Der Stadt, in der viele Kinder niemals lächeln. Der Stadt, in der die allgemeine Hektik durch dieses Sprichwort beschrieben wird: "Wenn Du in Paris frühmorgens aufwachst, bist Du schon zu spät dran." In dieser Stadt sind Rezepte wie Lächeln und Langsamkeit geradezu lebenswichtig, will man nicht vor Einsamkeit oder Stress umkommen.

Das Buch ist schön geschrieben, kurz und prägnant. Es ist kein Wort zuviel, jeder Satz ist bedeutsam.

Leider werden bei der Gegenüberstellung der aschkenasischen und der arabischen Kultur einige Stereotype verwendet: Da ist der melancholische jüdische Vater. Der Araber, der bei jeder geschäftlichen Gelegenheit das meiste herausschlägt, das er kann. Der in den alltäglichen Dingen eine Bauernschläue hat, die ihresgleichen sucht. Und auch der Araber, der planlos und unüberlegt agiert: der zum Beispiel große Summen Geld für ein Auto ausgibt, ohne sich überlegt zu haben, ob er es überhaupt fahren kann.

Das Buch ist aus der Perspektive des Jungen geschrieben. Diese Perspektive gibt dem Buch - für emotionale Leserinnen und Leser - einen gewissen Charme.


Buchbesprechungen
Bruno Haible <bruno-antispam@antispam.haible.de>

Geschrieben: 19. Juni 2005.
Letzte Änderung: 20. Juni 2005.